Vorabgenehmigungsverfahren für KTW bleibt nach BSG Urteil rechtswidrig

Seit Änderung des § 60 Abs.1 Satz 3 SGB V mit der Einführung des Vorabgenehmigungsverfahrens zum Beginn des Jahres 2004, besteht Streit vor allem zwischen privaten Unternehmen, die Krankentransporte außerhalb der
öffentlichen Notfallrettung anbieten und einigen gesetzlichen Krankenkassen darüber, ob Krankentransportleistungen gem. § 60 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGB V vor dem Einsatz von ihnen genehmigt werden müssen. Diese Krankenkassen beharren darauf, dass ihnen die Verordnung eines Krankentransports vor Ausführung mitgeteilt wird, weil sie so die Möglichkeit erhalten, die Beförderung ihres Patienten mit einem billigeren Verkehrsmittel zu bewirken. Dieses billigere Verkehrsmittel ist in der Regel ein Mietwagen, der mit Tragestuhl oder Trageliege ausgestattet ist, jedoch nicht über die Besetzung mit einem Rettungssanitäter oder Rettungsassistenten verfügt. Deshalb kann dem Patienten während der Beförderung im Mietwagen keine medizinisch-fachliche Unterstützung gegeben werden. Den Einsatz eines solchen Mietwagens halten die privaten Unternehmen in der qualifizierten Krankenbeförderung für grundsätzlich bedenklich, weil damit ihrer Ansicht nach gegen die Regelungen des Personenbeförderungsrechts (§ 1 Abs.2 Nr.2 PBefG) verstoßen würde. Die Genehmigungen zum Einsatz von Mietwagen dürfen nicht dazu erteilt werden „verletzte, kranke oder sonst hilfsbedürftige Personen“ mit dem Mietwagen, Taxi oder mit den Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs zu befördern. Infolge der von einigen gesetzlichen Krankenkassen konsequent verfolgten Verschiebung der Beförderung von hilfsbedürftigen Personen an die Mietwagenunternehmen ist es immer wieder dazu gekommen und kommt es auch weiterhin dazu, dass schwer kranke Patienten mit unqualifizierten Mietwagen zur Behandlung in eine Arztpraxen, zur Therapie oder gar zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus gefahren werden.

Mit der Klarstellung im hier vorgelegten Urteil des Bundessozialgerichts hat sich jetzt die von den Privatunternehmern im Rettungsdienst vertretene Ansicht, dass KTW-Einsätze vorab nicht genehmigt werden müssen, durchgesetzt. Diese Ansicht ist zuvor durch das SG Neubrandenburg mit Urteil vom 30.11.2006 (S 4 KR 25/06) und durch das SG Berlin mit Urteil vom 02.09.2011 (S 81 KR 372/11) ausführlich begründet und auf  ergütungsstreit (Neubrandenburg) und auf einen Fall der rechtswidrigen Information von Vertragsärzten (Berlin) angewendet worden. Auch das LSG Hessen hat mit Urteil vom 16.02.2011 (L 8 KR 243/11) die jetzt vom BSG bestätigte Ansicht im Rahmen eines Streits zur Feststellung der Vertragspflichten vertreten. Beiden Urteilen kann die ausführliche Begründung entnommen werden, die so für die klagenden Unternehmer und insbesondere für den Landesverband der Privaten Rettungsdienstunternehmen in Berlin e.V. (LPR) entwickelt worden ist.

Das Bundessozialgericht stellt weiter klar, dass ein gegenüber dem Versicherten der gesetzlichen Krankenkasse ergangener Bescheid zur Genehmigung eines anderen Beförderungsmittels für das Vergütungsverhältnis zwischen dem Unternehmer und der Kasse irrelevant ist (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 13.12.2011 – B 1 KR 9/11) weist aber in seiner Stellungnahme zu dieser Rechtsfrage auch deutlich darauf hin, dass der Unternehmer verpflichtet ist, die im Einzelfall vielleicht unzureichende Verordnung auf Vollständigkeit und Plausibilität zu überprüfen, wobei der 3. Senat die Angabe „MRSA“ ohne weitere Handlungsanweisung für den Krankentransporteur offensichtlich für ausreichend hält. Auch hierüber besteht vor diversen Sozialgerichten in Deutschland Streit zwischen Unternehmern und Kassen. Während die Unternehmer davon ausgehen, dass allein die Angabe „KTW“ ausreichend sei, weil damit die Leistungspflicht nach den landesrechtlichen Regelungen im Rettungsdienstrecht ausgelöst würde, meinen einige Krankenkassen, sowohl die Angaben zur medizinischen Begründung des Beförderungsmittels wie auch die Angabe der konkret im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen des Begleitpersonals müssten im Feld „medizinisch-fachliche Betreuung“ angegeben so werden, dass aufgrund dieser Angaben zweifelsfrei sei, dass der Einsatz des Krankenkraftwagens aus medizinischen Gründen zwingend erforderlich ist. Die Wahrheit liegt wohl – wie so oft – in der Mitte: Aus der Verordnung muss für den Unternehmer erkennbar hervorgehen, warum der Arzt meint, dass dieser Patient mit einem Krankentransportwagen gefahren werden muss. Die Richtigkeit der ärztlichen Verordnung hat der Transporteur in der Regel nicht zu überprüfen. Auch dies bestätigt das hier besprochene Urteil ausdrücklich (vgl. zum Fall der KTW Verordnung bei diabetischem Fuß 4.Grades: SG Berlin Urteil vom 10.08.2012 – S 81 KR 2672/10). Die im Urteil in der Sache zur Zurückweisung der Revision führenden Umstände wirft ein interessantes Licht auf das Rechtsverständnis der beklagten Knappschaft. Die beklagte Krankenkasse hatte einige Tage vor der mündlichen Verhandlung den Anspruch auf Vergütung vorbehaltlos anerkannt und erklärt, die Verfahrenskosten tragen zu wollen. Damit wurde die, auch in der mündlichen Verhandlung vom Vorsitzenden erwähnte Absicht der Knappschaft deutlich, eine Entscheidung in der Sache zu vermeiden. Ähnliches Verhalten haben auch andere Krankenkassen gezeigt, die bei zu erwartender Verurteilung, eine grundsätzliche Klärung der Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit Ihres Verhaltens durch Anerkenntnis oder Zahlung des eingeklagten Betrages vermeiden wollten. Die Krankenkassen sollten ggf. aufsichtsrechtlich daran erinnert werden, dass sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts rechtmäßiges Verhalten als oberste Richtschnur ihres Handelns anzuerkennen haben und sich nicht mit solchen „Taschenspielertricks“ um die Klärung der Rechtsfrage drücken können. Eine der auf Landesebene zuständigen Aufsichtsbehörden scheute vor einer Positionierung gegenüber den Kassen vor den komplizierten Rechtsproblemen zurück, die mit der Leistungsverschiebung vom Rettungsdienst in den Mietwagenbereich zusammenhängen. Da dem Kläger in diesem Verfahren die Vergütung seiner Leistungen infolge des Anerkenntnisses und der bereits im Wege der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil bewirkten Zahlung nicht mehr genommen werden konnte, wurde das Anerkenntnis nicht angenommen, so dass der Senat die Gelegenheit zu den jetzigen grundsätzlichen Hinweisen erhalten hat. Nicht ganz verständlich ist mir der Hinweis des Senats zu den Verzugszinsen, in erster und zweiter Instanz waren nur Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins eingeklagt worden, dieser Anspruch war ebenso wie die Hauptforderung durch Zahlung erloschen. Eine nachträgliche Verzugszinsberechnung dürfte nicht mehr möglich sein, weil mit der vorbehaltlosen Annahme des Betrages vor Antragstellung in der Revisionsinstanz der Anspruch wohl erfüllt wurde. Gleichwohl ist erfreulich, dass der Senat hier das Recht, Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über Basiszins ausdrücklich bestätigt hat.

Eine abschließende Bemerkung mit Blick auf die Auswirkungen der Leistungsverschiebung vom Krankentransport in den Mietwagenbereich für die öffentliche Notfallrettung sei noch erlaubt. Die Durchführung von Beförderungsleistungen mit Mietwagen hat erhebliche Auswirkungen auf die Leistungszahlen des öffentlichen Rettungsdienstes. Meist dürfte die Anzahl der ausgeführten Krankentransporte bei einem Vielfachen der Einsätze in der Notfallrettung liegen. Die Krankentransportleistungen tragen erheblich zur Finanzierung des öffentlichen Rettungsdienstes bei. Auf diesen wirtschaftlichen Zusammenhang weist die AOK Niedersachsen ausdrücklich in
der hier beigelegten Information auf ihrer Internetseite hin. Da die Krankenkassen die Daten der Krankenbeförderung nicht nach Krankenfahrten und Krankentransporten differenziert veröffentlichen und insbesondere keine
Unterschiede bei den Krankenfahrten danach vornehmen, ob ein Mietwagen mit Tragestuhl oder Trageliege oder ein normaler Mietwagen für gehfähige Patienten eingesetzt wird, kann außerhalb der Krankenkassen niemand den tatsächlichen Umfang der Leistungsverlagerung bestimmen. Jedoch berichten Angehörige des öffentlichen Rettungsdienstes aus den Bundesländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen über die Folgen dieser Verlagerung. In den Verhandlungen über die Vergütung für den öffentlichen Rettungsdienst werden regelmäßig die Rückgänge der Einsatzzahlen im Krankentransport vorgelegt und es wird regelmäßig gefordert und vielmals auch erreicht, dass die Zahl vorzuhaltender Krankentransportwagen verringert wird. Dort wo im sogenannten Multifunktionssystem nur noch RTW eingesetzt werden, führt diese Reduzierung der Rettungsmittel unmittelbar zur Beeinträchtigung der Einsatzfähigkeit des öffentlichen Rettungsdienstes. Anstelle der bisher vorgehaltenen Rettungsmittel werden jetzt Beförderungen mit Mietwagen vergütet, dem öffentlichen Rettungsdienst gehen so notwendige Einnahmen verloren, ohne dass sich die Pflicht des Rettungsdienstträgers, die gesetzlichen Vorgaben für die Notfallrettung einzuhalten, vermindert. Die notwendige Vorhaltung von Notfallrettungsmitteln muss also auch dann finanziert werden, wenn die Einnahmen der Krankentransporte ausfallen. Die Verlagerung der Einzelleistung in den billigeren Mietwagenbereich ist damit nicht nur gesundheitspolitisch bedenklich (zB  Verbreitung von MRSA über die Mietwagen) sondern auch wirtschaftlich unsinnig. Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass die Verkehrszulassungsbehörden Mietwagengenehmigungen für Fahrzeuge erteilen, die aufgrund ihrer Ausbauten offensichtlich dazu dienen, verletzte, kranke oder sonst hilfsbedürftige Personen zu befördern.

 

Hans-Martin Hoeck

Rechtsanwalt Hoeck
Lindenstraße 5
17033 Neubrandenburg
Tel. 0395/36312912
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